Im Sektor Prozessindustrie ist Freudenberg Sealing Technologies (FST) in den drei Segmenten Lebensmittel & Getränke (Food & Beverage, F&B), Pharmazie sowie Chemie aktiv – mit Erfolg und mit weiterem Wachstumspotenzial, wie Nicole Schneider, Vice President Global Process Industry in der Industrial Services Division (ISD), im Gespräch mit „Sealing World“ darlegt.
Die Prozessindustrie ist ein sehr krisenfester Markt.
Nicole Schneider | Vice President Global Process Industry, Industrial Services Division (ISD)
Menschen müssen immer essen und trinken.
Auch die medizinische Versorgung ist durchgängig wichtig; angesichts zunehmender Weltbevölkerung und immer mehr alten Menschen wird sie sogar immer wichtiger.

Frau Schneider, ob in Politik oder Wirtschaft: Krisen, wohin man derzeit auch schaut. Wie wirkt sich dies auf die Aktivitäten von FST in der Prozessindustrie aus?
Wir haben Glück im Unglück. Die Prozessindustrie ist ein sehr krisenfester Markt. Menschen müssen immer essen und trinken. Auch die medizinische Versorgung ist durchgängig wichtig; angesichts zunehmender Weltbevölkerung und immer mehr alten Menschen wird sie sogar immer wichtiger. Diese Stabilität und Kontinuität sind Argumente, warum FST die Lebensmittel- und Getränkeindustrie sowie pharmazeutische Anwendungen strategisch in den Fokus rückt.
Drückt sich die Krisenresistenz Ihres Geschäfts auch in Zahlen aus?
Ja, unsere globalen Umsätze in der Prozessindustrie haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugelegt und 2021 sogar unsere Erwartungen übertroffen. Das Geschäft ist zudem hochprofitabel. Und, wie gesagt: Wir sehen weitere Wachstumspotenziale.
Welche Länder haben Sie dabei besonders im Blick?
Unser Kerngeschäft liegt – über alle Segmente hinweg – in Europa. In Deutschland haben wir in der Prozessindustrie einen Marktanteil von 50 Prozent. Den wollen wir verteidigen. In Europa insgesamt liegt unser Marktanteil bei knapp 30 Prozent, wir sind die Nummer 1 im Markt. Als Wachstumsmärkte zu nennen sind hier aktuell insbesondere Italien und Großbritannien. Über Europa hinaus zählen die USA und China zu unseren Fokusregionen. In der aktuellen Strategieperiode blicken wir zudem nach Indien und Australien. Wir wollen verstehen, mit welcher Strategie und mit welchen Produktlösungen wird dort erfolgreich sein können. In Indien werden beispielsweise viele Medikamente für den Weltmarkt gefertigt.
Lassen Sie uns auf die drei Marktsegmente der Prozessindustrie zurückkommen. Wo liegen deren Besonderheiten?
Unser Geschäft ist grundsätzlich auf die Anlagenbauer ausgerichtet, die OEM. Die meisten von ihnen stellen Anlagen für Endkunden unterschiedlicher Marktsegmente her. Daher lassen sich unsere Produkte oft gar nicht klar und eindeutig einem Bereich zuordnen. Generell ähneln sich die Anforderungen in den Segmenten Food & Beverage sowie Pharma sehr; gleiches gilt dementsprechend für unser Geschäftsmodelle. In diesen Industrien ist es wichtig, mit einigen wenigen zugelassenen Materialien möglichst viele Anwendungen abzudecken, denn die Freigabe- und Zulassungsverfahren sind aufwändig und komplex. In beiden Segmenten stehen zudem hygienisches, totraumfreies Design sowie eine hohe Medienresistenz der eingesetzten Werkstoffe durchweg ganz oben auf der Agenda.
Spiegeln sich diese Anforderungen in den Produkten von FST wider?
In einem gemeinsamen Projekt von Process Industry und dem Lead Center Special Sealing Industry (SSI) haben wir die ganze Bandbreite unserer Dichtungslösungen für hygienegerechte Anlagen in der Prozessindustrie in einer eigenen Produktlinie zusammengefasst. Zu dieser „Hygienic Line“ zählen als Aushängeschilder Innovationen wie die Hygienic Pressure Seal und die Hygienic Forseal. Freilich gibt es auch segmentspezifische Produktgruppen. Während bei Food & Beverage zum Beispiel Klappendichtungen typisch sind, sind in der pharmazeutischen Industrie oft aufblasbare Dichtungen, Clampdichtungen sowie weiße Compounds gefragt.
Und in der chemischen Industrie?
In der Chemie findet sich dieser übergreifende ganzheitliche Ansatz der beiden anderen Segmente nicht. Hier gibt es unglaublich viele Nischenlösungen. Hygienisches Design und Freigaben spielen dabei in der Regel keine Rolle. Vielmehr geht es in erster Linie um die Resistenz unserer Materialien gegen die schier endlose Anzahl an Medien, die in der chemischen Industrie zum Einsatz kommen.
Wachstum kommt nicht von ungefähr. Wo liegen die Stärken von FST in der Prozessindustrie?
Die hohen Anforderungen an Werkstoffe und Design habe ich bereits angesprochen. Wir verfügen über die technische Expertise, diese mit hochrangigen Produkten und Werkstoffen zu erfüllen. Diese Fähigkeit speist sich aus mehreren Quellen. Die Werkstoffexperten von FST, die Produktexperten in den Lead Centern sowie unsere Marktspezialisten bei Process Industry arbeiten eng zusammen. Bei Process Industry haben wir eine eigene technische Abteilung mit einer enormen Beratungskompetenz. Alle Mitarbeitenden sind hier Spezialisten für prozesstechnische Anwendungen. Gleiches gilt für unsere Verkaufsingenieure im Außendienst. Seit 20 Jahren fokussieren wir uns dezidiert auf die Prozessindustrie. Wir verfügen zum Beispiel über einen eigenen Prüfstand für branchenrelevante Tests. Wir haben ein Operations-Team, das sich um unser Seriengeschäft kümmert. Unser Einkaufsteam ergänzt das FST-Produktportfolio mit Produkten externer Partner. Keiner unserer Wettbewerber verfügt über diese Marktnähe, dieses Markt-Know-how und diese technische Kompetenz.
Das „S“ in ISD steht für Service. Welche Rolle spielt der für Ihren Erfolg?
Eine sehr große. Unser Lager ist auf maximale Agilität und Flexibilität ausgelegt, nicht auf maximale Pickzahl. Unsere Kunden verbauen viele unserer Produkte nicht in neue Anlagen, sondern vertreiben sie im Nachbezugsmarkt, verkaufen sie also als Ersatzteile an die Anlagenbetreiber. Dafür sind Einzelverpackungen gefragt. Um dabei noch effizienter zu agieren, werden wir schon in Kürze unsere Verpackungsmaschine mit einem automatischen Zuführsystem ausstatten.
Wie sieht es mit Kitting aus, also dem Zusammenstellen von Teilesets?
Das machen wir schon sehr lange und wollen es verstärkt anbieten. Die Grundlage bildet auch hierfür die Flexibilität unseres Lagers. Im Kitting sehen wir eine große Chance, um uns vom Wettbewerb abzuheben und zu wachsen. Zu solchen Value-Added-Services zählen unter anderem auch kundenindividuelle Produktmarkierungen.
Die Stärken von FST in der Prozessindustrie liegen traditionell in der Lebensmittel-
und Getränkeindustrie. Jetzt rückt zusätzlich die pharmazeutische Industrie in den Fokus.
Richtig. Wir wollen in diesem Segment in den nächsten Jahren jeweils zweistellig wachsen. Das Ausgangsniveau liegt niedriger als bei Food & Beverage, was unser ehrgeiziges Vorhaben realistisch macht.
Zum Abschluss eine Frage zur „Chemie“. Wie beurteilen Sie hier die Zukunftschancen?
Diese Frage führt uns an den Anfang unseres Gesprächs, der Krisenproblematik, zurück. Die Erderwärmung und der Krieg in der Ukraine führen uns vor Augen, wie problematisch Erdöl und Erdgas sind: nicht nur für eine krisensichere und nachhaltige Energieversorgung, sondern auch für die chemische Industrie. Sie gewinnt aus den fossilen Energieträgern ihre Grundstoffe, vor allem für die Herstellung von Kunststoffen. Wir untersuchen gerade, ob die Chemieindustrie vor diesem Hintergrund gänzlich neue Pfade einschlagen wird und inwiefern Wasserstoff die komplette Branche revolutionieren könnte – und welche Chancen uns dies in der Dichtungstechnik eröffnet.